Presseecho 2. Festwoche

Opernabend 3. Februar 2017 - Orlando generoso

Hannoversche Allgemeine Zeitung 06.02.2017

Von der Raserei zum Großmut
"Orlando generoso" in Herrenhausen

VON RAINER WAGNER

Da kann die leidlich frischgebackene "City of Music" Hannover durchaus stolz auf sich sein. Seit wenigen Jahren entdecken auch Stars wie Cecilia Bartoli und Donna Leon den Komponisten Agostino Steffani. Doch ein entscheidender Impuls der Wiederentdeckung dieses italienischen Komponisten mit der kunterbunten Lebensgeschichte ging bereits Ende der Achtzigerjahre von Hannover aus.
Schon damals steckte Lajos Rovatkay dahinter, der Steffanis Oper "Enrico Leone" zusammen mit dem genialischen Regisseur Herbert Wernicke auf die Bühne der Staatsoper brachte. Rovatkay ist natürlich auch der Motor des "Forums Agostino Steffani", dessen zweite Festwoche jetzt nach kompetenter Festvortragseinführung am Vorabend mit Steffanis vierter Oper "Orlando generoso" eingeleitet wurde.
Weil das zugleich ein Konzert der NDR-Reihe Barock war (und auf Sendezeiten Rücksicht nimmt), gab es zwar nur die Hälfte des Stücks zu hören, aber Steffani-Fans haben gewiss die komplette CD-Box im Schrank und die Aufführung bei den Festwochen Herrenhausen 2008 in Erinnerung.
Von damals war nur Kai Wessel in der Titelrolle übrig geblieben – und natürlich Dirigent und Cembalist Bernward Lohr, der das erprobte Ensemble Musica Alta Ripa impulsgebend leitete. Aus dem "Orlando furoso", dem rasenden Roland des Dichters Ludovico Ariost (dessen Epos tiefe Spuren in der Operngeschichte hinterlassen hat), wird hier ein großmütiger Roland, ein "Orlando generoso". Die konzertante Aufführung klingt in einem beschwingten Chor mit Rausschmeißerqualität und einem fetzigen Finale aus, das im ausverkauften Orangeriegebäude für angemessen schwungvollen Beifall sorgte.

Liebeszauber und Hexerei
Auch wer wegen gelegentlicher Rollenwechsel der Solisten nicht immer ganz begriff, worum es in diesem Hin und Her zwischen Liebeswahn und Pflichterfüllung, zwischen Liebeszauber und böser Hexerei gerade geht, konnte sich an den Finessen dieser Musik erfreuen: an empfindsamen Geständnissen, an erstaunlich vielen kunstvollen Duetten, an Zwiegesprächen zwischen Solostimme und Fagott, Violine oder Barockoboe. Und an einem homogenen Solistenquintett, in dem die Sopranistin Anna Nysba durch besonders sensible Klangfarben überzeugte.
Da ist man als Zuhörer doch gerne generös mit dem Beifall.

 

Hannoversche Neue Presse 07.02.2017

Musica Alta Ripa serviert beseelte "Orlando"-Oper

HANNOVER. Noch 'n Barockkonzert? Nein, so würde man dem Auftritt des Ensembles Musica Alta Ripa bei der Agostino-Steffani-Festwoche wirklich nicht gerecht werden. Die konzertante Fassung der Oper "Orlando generoso" in der Orangerie erntete aus gutem Grund weit überdurchschnittlichen Beifall und Bravos.
Wenn nicht hier, wo dann? Steffani komponierte den "Orlando" 1691 in seiner Zeit als Kapellmeister am hannoverschen Hof. Zu hören war diesmal eine auf rund 90 Minuten abgespeckte Version – die CD-Version aus dem Jahr 2009 dauert eine gute Stunde länger.
Schon für diese Erstein-spielung hat Alta Ripa eine Menge Lob bekommen, und im Konzert wurde deutlich, warum: Das Ensemble serviert diese Musik klangfarben- und abwechslungsreich, aber immer beseelt, und es weiß die Stärken der Komposition hervorzukehren – von lyrischen über wiegende bis zu fetzigen Tönen war alles vertreten.
Auch im Solistenquintett gab es viel Erfreuliches zu entdecken. So bei beiden Damen: Der Sopran von Anna Nesyba in den Rollen von Bradamante und Medoro kam betörend leicht daher, derjenige von Nina Koufochristou als Angelica und Medoro etwas druckvoller, aber nicht angestrengt. Die Duette machten doppelte Freude – das ergänzte sich wunderbar.
Der bekannteste Name auf der Besetzungsliste war Countertenor Kai Wessel, der als Titelfigur erst nach einer halben Stunde eingriff und zunächst arg forciert klang, bis er auch weichere Töne anschlug. In gleicher Stimmlage wirkte Franz Vitzthum als Ruggiero und Galafro geschmeidiger und hätte zu Beginn sogar lauter sein können. Sehr solide Jean-Christophe Fillol in der Bass-Partie des Atlante, nur die Arie "Non voglio cedere fortuna" geriet ihm eine Spur zu dröhnend.
Bei den Instrumentalisten gab es Feinheiten zuhauf, stellvertretend sei Fagottist Adrian Rovatkay genannt. Bernward Lohr hatte vom Cembalo aus die Gesamtleitung sicher im Griff und bewies ein gutes Gespür für die Tempi. Ein schöner Abend.

 

Geistliches Konzert 5. Februar 2017 - VANITAS

Hannoversche Allgemeine Zeitung 07.02.2017

Comeback nach 300 Jahren
Die Festwoche

Glanzvoll wiederentdeckt: Der Komponist Ruggiero Fedeli bei der Festwoche des Forum Agostino Steffani
VON VOLKER HAGEDORN

Sie war jung, schön, klug, gebildet, unglücklich verheiratet. Sie mochte Genies, rauschende Feste und glanzvolle Opern. Sie war mithin im öden Berlin fehl am Platz, diese Sophie Charlotte. Im Januar 1705 machte sich die erkältete Gemahlin des Preußenkönigs auf den Weg zum Karneval ins geliebte Hannover, und hier bekam die 36-Jährige eine Lungenentzündung, der sie am 1. Februar erlag. Zur Bestattung in Berlin wurde das Werk eines Musikers aufgeführt, den sie schon in ihren hannoverschen Jahren bewundert hatte – Ruggiero Fedeli. Der junge Georg Philipp Telemann war dabei und vergaß das Stück nie wieder.

Die Nachwelt schon. Sie hat Fedeli vergessen wie so viele. Bis zum vorigen Wochenende. Was da in der Neustädter Hof- und Stadtkirche zu hören war, konnte einem die Ohren öffnen – denn auch wenn die Nachwelt vieles zu Recht vergisst, ist sie gern bequem und ungerecht. Sie konnte einen Bach 50 Jahre lang vergessen, der seinerseits schon nichts mehr von Monteverdi wusste. Nur wer sich dieser Bequemlichkeit widersetzt, wer durch die Kalkablagerungen des Mainstreams Tunnel bohrt, macht jene Funde, die uns neu inspirieren. So einer ist Lajos Rovatkay, einer der besten Kenner der Musik um 1700.

Spurensuche bis nach London
Da er auch Praktiker auf höchstem Niveau ist, kommt für ihn nicht die Sorte von Insiderkonzerten infrage, die dann als"verdienstvoll" abgehakt werden, ehe ein vermeintlich verkanntes Genie wieder in die Grube fährt. Für die Musik des Venezianers Fedeli, der jahrelang in Hannover wirkte, wurden acht Vokalsolisten im Festivalformat aufgeboten – die Sopranistin Monika Mauch etwa zählt zu den besten der barocken Musik überhaupt –, sekundiert vom Ensemble la festa musicale und von Peter Wollny, Direktor des Leipziger Bacharchivs und eine Art Sherlock Holmes unter den Musikdetektiven.
Aus dem sonst eher spröden Genre des Einführungsvortrags machte er in der randvoll besuchten Kirche eine Spurensuche, die bis nach London führte. Dort hat Wollny eine Abschrift der großen Trauermusik aufgespürt, die Fedeli für Sophie schrieb – einst im Gepäck Georgs I. an die Themse gebracht. Erstmals seit 312 Jahren war dies "Tandem aliquando" nun wieder zu hören – eine Art "missing link" zwischen den reichen Farben und Formen des 17. Jahrhunderts und der fokussierteren Sprache des beginnenden 18. Jahrhunderts, eine ganz eigene Stimme der "vergessenen Generation", von der Bach und Händel lernten.
Dabei stellt Fedeli sein eigenes Spätwerk für Sophie noch in den Schatten mit dem "Gloria", das Dirigent Rovatkay ihm vorangesetzt hatte. "Wie es war im Anfang", dieser Textteil ist so genial übermütig vertont mit swingendem basso ostinato, liegenden Vokaltönen und fast gesprochenem Textstaccato darüber, dass man aus dem Staunen so wenig herauskam wie in der gewaltigen Motette "O quam vana est". Eine ganze Erzählung entwickelt sich da um die Vergänglichkeit, unglaublich abwechslungsreich werden Soli, Duette, Chöre verschränkt, mittendrin ein Lied vom Tod, das, pardon, ein Hit werden könnte.

Fedelis Vater hat im Markusdom wohl noch unter Monteverdis Leitung gespielt, und man hört diesen Meister oft nachklingen, aber auch die Kontrastlust des Wahlvenezianers Johann Rosenmüller. Bei aller Nähe zu früheren Musiksprachen, auch zum Madrigal, ist Fedeli dabei ein Expressionist, ein rastloser Geist, eine Transitfigur wie im richtigen Leben: Ehe er in Kassel mit 1400 Reichstalern im Jahr zur Ruhe kam, streifte er die Höfe von Bayreuth und Dresden, eckte immer wieder an und scheint erst in Hannover halbwegs Fuß gefasst zu haben, einer der maßgeblichen Residenzen in Sachen Musik.

Ein Glücksfall für Hannover
Dieser Schritt zu Fedelis Comeback ist also auch für die kulturelle Identität der Stadt ein Glücksfall, ohne dass man gleich die Musikgeschichte umschreiben müsste. Es kommt nicht auf große Gestalten an, sondern auf gute Musik, die mehr bietet als die Standards und Konventionen ihrer Zeit. Mit anderen Worten: Neue Musik. Tatsächlich herrschte Aufbruchsstimmung bei diesem Finale der Festwoche, die das Forum Agostino Steffani mit Förderern auf die Beine gestellt hatte. Die unterstützten mit Wein und Zwiebelkuchen auch den lebhaften Austausch hinterher. Sophie Charlotte hätte das gefallen.
Im kommenden Jahr wird es wieder eine Festwoche des Forums geben: Vom 2. bis zum 10. Juni 2018 steht dann das 300-jährige Jubiläum der Weihe der hannoverschen Basilika St. Clemens durch Agostino Steffani im Mittelpunkt. Mitwirkende sind unter anderem der Knabenchor und das Collegium Vocale Hannover.

 

Hannoversche Neue Presse 09.02.2017

Prächtige Barockmusik bei Agostino-Steffani-Festwoche
Neustädter Hofkirche: Klingende Trauer für die Königin Sophie Charlotte

Hannover. Und das sind Gedanken, die so wunderbar in die Zeit passen: "Oh wie nichtig ist der Welten Ruhm / wie trügerisch, wie unbeständig ist das irdische Glück" – auf Lateinisch zu singen, hat das der Barockkomponist Ruggiero Fedeli vertont. Ein musikalischer Schatz, der in der ausverkauften Neustädter Hof- und Stadtkirche gehoben wurde.
Prächtige Musik in einer echten Erstaufführung: Stücke hören, die seit Jahrhunderten nicht mehr erklungen sind, das ist einer der Vorteile der verdienstvollen Festwoche zu Ehren von Agostino Steffani, die einmal jährlich nternationale Wissenschaftler und Musikkenner anzieht.
Das außergewöhnliche Abschlusskonzert war unter dem Titel "Vanitas" der Vergänglichkeit gewidmet und dem Andenken von Königin Sophie Charlotte, der Tochter der Leibniz-Freundin und Gründerin der Herrenhäuser Gärten Kurfürstin Sophie. Zum Tode von Sophie Charlotte hatte Fedeli eine ebenso wunderbare wie kunstvolle achtstimmige Motette geschrieben, die seit ihrer ersten Aufführung 1705 als verschollen galt.
Wie man solche Musik in die Gegenwart holt, zeigten das Forum Vocalconsort und das Orchester La Festa Musicale unter der Leitung von Festwocheninitiator Lajos Rovatkay. Großartig dabei die Solisten mit David Erler und Beat Duddeck in den schwierigen Altus-Partien: Die Präzision, mit der die acht Solisten die einzelnen Gedanken weiterreichten und punktgenau von den Instrumentalisten begleitet wurden, war dann schon ziemlich beeindruckend. Die Tempi waren, trotz oder vielleicht gerade wegen des düsteren Themas, überaus lebendig. Riesenapplaus für Dirigent, Sänger und Orchester.

Die nächste vom Forum Agostino Steffani ausgerichtete Festwoche steigt 2018 vom 2. bis 10. Juni – im Mittelpunkt steht dann edle venezianische Kirchenmusik des Spätbarock, an der auch der Knabenchor beteiligt ist. Agostino Steffani (1654 bis 1728) war eine der interessantesten Gestalten des Barock, Hofkomponist der Welfen in Hannover, Musiker, Spion und Diplomat – und ist Held eines Krimis von Donna Leon.